2 Dies ist das Problem der Urkindheit. Es ist auch das aller Ur‐ menschheit, daß sich in ihr eine Alleingeborenheit weiterbekundet neben den Erfahrungen des zunehmenden Bewußtwerdens: wie eine gewaltige Mär von unverlierbarer Teilhaberschaft an All‐ macht. Und die frühe Menschheit wußte sich den Glauben daran dermaßen zuversichtlich zu erhalten, daß die gesamte Welt des Augenscheins menschlich zugänglicher Magie unterstellt erschien. Dauernd bewahrt das Menschentum etwas von diesem Unglauben an die Allgemeingültigkeit der Außenwelt, die einmal mit ihm un‐ geschieden Ein‐und‐dasselbige schien; dauernd überbrückt es den für sein Bewußtsein entstandenen Riß mit Hilfe der Phantasie, wenngleich diese das Modell ihrer göttlichen Korrekturen auch eben dieser mehr und mehr wahrgenommenen Außenwelt anglei‐ chen muß. Dies Darüber und Daneben, dies phantasierte Duplikat – berufen zu vertuschen, was sich mit dem Menschentum Fragwür‐ diges zugetragen hat – nannte der Mensch seine Religion. Deshalb kann es auch einem heutigen oder gestrigen Kinde ge‐ schehen – falls es noch irgendwo ganz selbstverständlich umstellt ist von elterlicher Gläubigkeit, von »Fürwahrhaltungen« –, daß es das religiös Geglaubte ähnlich unwillkürlich einheimst wie die sach‐ lichen Wahrnehmungen. Denn gerade seinen kleinsten Jahren, der kleinsten Unterscheidungsfähigkeit, eignet noch die Urfähigkeit, nichts für unmöglich und das Extremste für das Wahrscheinlichste zu halten; alle Superlative geben sich noch ein magisches Stell‐ dichein im Menschen als natürlichste Voraussetzungen, bevor er sich an den Mittelmäßigkeiten und Unterschiedenheiten des Tat‐ sächlichen gründlich genug gerieben hat. Man denke nicht, einem religiös unbeeinflußten Kinde werde solche Vorzeit ganz erspart: die kindlichste Reaktion geschieht – infolge noch ungenügender Unterscheidungskraft und um so frag‐ loserer Wunschkraft – immer zunächst aus dem Superlativischen heraus. Denn zu Beginn entschwindet unsere »Alleingeborenheit« unserm Urteil nicht ohne diese Hinterlassenschaft, die sich über die Gegenstände unserer ersten Anhänglichkeiten oder ersten Empö‐