Ein freier Iran!
Am 16. September 2022 starb Jina (Mahsa) Amini in einem Teheraner Krankenhaus. Drei Tagezuvor war sie von der Gašt-e eršād, der sogenannten „Sittenpolizei“, festgenommen worden, weil sie den Hijab (Kopftuch) angeblich nicht vorschriftsgemäß trug. Augenzeug:innen beobachteten, wie die „Sittenpolizei“ Jina schlug. Die 22-Jährige überlebte diese Festnahme nicht. Amini war eine von unzähligen Menschen, die von der Gašt-e eršād wegen ihrer Kleidung verhaftet, schikaniert und unterdrückt werden. Gerade deshalb wurde sie in kürzester Zeit zum Symbol: Seit ihrem Tod rollt eine Protestwelle durch den Iran. Tausende gehen auf die Straße, vor allem am Abend oder in der Nacht und demonstrieren gegen ein korruptes, patriarchales und kapitalistisches Regime. Die mutigen Protestierenden im Iran durchbrechen die eindimensionale Logik des islamistischen Regimes, indem sie die Ketten ihrer Unterwerfung zerschlagen. Gleichzeitig sind die Proteste längst nicht mehr nur auf einzelne gesellschaftliche Gruppen oder einzelne Städte beschränkt. Sie haben das gesamte Land erfasst und überschneiden sich mit den Protesten unterdrückter ethnischer Gruppen wie der Kurd:innen. Gegen diese Proteste geht das Regime mit brutaler Gewalt vor.
Während diese mutigen Menschen im Iran Widerstand gegen einen massiven Unterdrückungsapparat leisten, dürfen wir nicht schweigen. Unsere Solidarität gehört den Demonstrant:innen im Iran ebenso wie allen Iraner:innen im Exil, die zum Teil schon seit Jahrzehnten für einen demokratischen Wandel im Iran kämpfen. Ein zwölfköpfiger Wächterrat entscheidet darüber, ob die Beschlüsse des Parlaments zugelassen werden sowie wer für politische Ämter wie das des Präsidenten kandidieren darf. Die Möglichkeit der Wahl besteht für iranische Staatsbürger:innen also nur innerhalb eines engen Korridors, der dieser fundamentalistischen Auslegung des Islam zu folgen hat.
Eine Recherche von Correctiv, nerzpolitik.org und der taz zeigte kürzlich, dass das iranische Regime für die Einschränkung und Abschaltung des Internets auch Strukturen im Ausland nutzt. Darunter Unternehmen mit Tochterunternehmen oder Ablegern in Europa. Jede Zusammenarbeit mit dem iranischen Regime oder staatlichen Unternehmen müssen mit sofortiger Wirkung eingestellt werden.
Die Proteste richten sich gegen das theokratische Herrschaftssystem, nicht um die Religionsausübung der Zivilbevölkerung. Vielmehr wird der Islam als Grundlage für dieses System missbraucht, um die massive Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Es geht um Grundrechte, die vom Mullah-Regime mit Füßen getreten werden.
Menschen im Iran werden sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum stark diskriminiert. Seit 1979 sind mehrere tausend Menschen aufgrund ihrer Sexualität hingerichtet worden. Transidentität steht hingegen nicht unter Strafe, wenn sich Trans-Personen geschlechtsangleichenden Maßnahmen unterziehen. Das führt dazu, dass viele Homosexuelle zu Geschlechtsumwandlungen gedrängt werden, weil ihre Sexualität dann offiziell nicht mehr als gleichgeschlechtlich gewertet wird und sie somit der Todesstrafe entkommen. So führt selbst die Nicht-Strafbarkeit von Transidentität im queerfeindlichen, iranischen Strafrecht zu enormem Leid. Diese misogyne und queerfeindliche Politik wird durch die Unterdrückung ethnischer Minderheiten noch verschärft. Kurd:innen beispielsweise, wie Jina (Mahsa) Amini, sind im Iran einer doppelten Diskriminierung ausgesetzt, da sie nicht nur als LGBTQI-Vertreter:innen sondern auch als Bevölkerungsminderheit gewaltsam unterdrückt und getötet werden. Der feministische Kampf muss daher intersektional sein, um Mehrfachdiskriminierungen erkennen und benennen zu können.
Heute kämpfen zahlreiche Menschen im Iran für einen Staat, in dem sie frei und selbstbestimmt leben können und die Machthaber halten an der Islamischen Republik fest, obwohl sich nur knapp 40 Prozent der Iraner*innen als muslimisch verstehen und in der Bevölkerung ein allgemeiner Trend zur Säkularisierung herrscht. Umso wichtiger ist es, dass wir uns mit den demokratischen Bestrebungen im Iran solidarisieren und den Versuch des Regimes, Demokratie als etwas “Fremdes” abzustempeln, zurückweisen.
Frau, Leben, Freiheit (زن، زندگی، آزادی Zan, Zendegi, Āzādi)!
Die neuBasis fordert daher:
- Die Gewalt gegen die Demonstrant:innen im Iran muss gestoppt werden.
- Umfassende Sanktionen gegen den Unterdrückungsapparat des iranischen Regimes und diejenigen, die davon profitieren. Die EU-Maßnahmen vom 17. Oktober 2022, die unter anderem gegen die Gašt-e eršād („Sittenpolizei“) sowie die Basij-Milizen gerichtet sind, sind ein richtiger erster Schritt. Die Liste der sanktionierten Personen und Organisationen muss jedoch deutlich ausgeweitet werden. So müssen auch die Revolutionsgarde, die mit ihnen verbundenen Unternehmen und Vermögenswerte sowie die Machthaber im Iran sanktioniert werden.
- Die Revolutionsgarden sollen auf die EU-Terrorliste gesetzt werden.
- Das Ende der einseitigen Fokussierung auf die Atomverhandlungen soll beendet werden. Die notwendige Reaktivierung des Atomabkommens darf nicht auf den Schultern der revolutionären Zivilgesellschaft im Iran ausgetragen werden.
- Die Zusammenarbeit aller staatlichen Stellen in Europa mit Organisationen, Unternehmen, Vereinen und Institutionen, die dem iranischen Regime nahestehen, muss unterbunden werden.
- Die Demonstrant:innen beim Zugang zum Internet sollen unterstützt werden. Dabei reicht es nicht, wenn Privatpersonen aus dem Ausland versuchen, zu helfen. Der Zugang zum Internet ist ein zentraler Bestandteil der Proteste und muss deshalb in Österreich von staatlicher Seite unterstützt werden.
- Sichere Fluchtrouten sowie eine erleichterte Einreise in die EU für Iraner:innen, das betrifft Asylverfahren ebenso wie die Vergabe von Visa. Ein Ausbau der finanziellen Mittel, um Exiliraner:innen ein Leben in Österreich zu ermöglichen, ist essentiell.
- Erhöhte Schutzmaßnahmen für Exiliraner:innen durch österreichische Sicherheitsbehörden, sowie die Einrichtung von Anlauf- und Meldestellen für Betroffene, müssen verstärkt werden.
- Das Ende der Diskriminierung von ethnischen Minderheiten, Angehörigen der LGBTQI-Community und anderer marginalisierter Gruppen im Iran muss erfolgen.
- Die Republik Österreich muss die Freilassung aller politischen Gefangenen fordern; die SPÖ soll sich hierfür einsetzen.
Weiterleitung an den BSA-Bundestag und den SPÖ-Bundesparteitag